Über Lektüre, Bücher, Bibliophile

„Lesen ist ein Tätigkeitswort … Die jungen Leute, die mit ihm zusammen das Bankfach erlernten, erzählten gern, daß der Lehrling Rowohlt immer ein Buch vor der Nase hatte, das er auch auf der Straße im Gehen las und damit, lesend, gegen Bäume und Laternenpfähle rannte.“ (Walther Kiaulehn: Mein Freund der Verleger. Ernst Rowohlt und seine Zeit, Reinbek 1967, S. 7/9.)

„Im elementarsten Falle ist das Lesen ein Auf- und Zusammenlesen von Früchten. Diese Lese ist eine Ernte. Kein Wunder also – angesichts der Verwandtschaft von Schriftkultur und Agrikultur – , daß wir hier eine Bewegungsgestalt wiederfinden, die unser Auge beim Lesen beschreibt. Ob Bohnen oder Beeren, Birnen oder Trauben: der Garten-, Feld- oder Weinbauer geht systematisch vor, wenn er erntet. Er durchläuft Zeile für Zeile, sammelt ein, was gereift ist, und bewahrt es …“ (Manfred Sommer: Sammeln. Ein philosophischer Versuch, Frankfurt/Main 1999, S. 375.)

„Ich. Ohne Eltern, ohne Familie, so heimatlos wie herrenlos wie klassenlos, selbst mit der Nation haperte es bei mir, der lange nicht wusste, ist er nun mehr französisch oder mehr deutsch – mir war die Arbeit mit Literatur Familie, Heimat und Haus. Meine Lust zu leben definierte sich in der Lust zu lesen und – Bücher zu zeugen.“ (Fritz J. Raddatz: Unruhestifter. Erinnerungen, 2. Auflage, München 2003, S. 74.)

„22. August. Den Tag mit Lektüre zu Hause verbracht. Noch immer Tee und Zwieback. Mich an ‚Das dreißigste Jahr‘ von Ingeborg Bachmann erinnert. Es muß 1962 oder 63 gewesen sein. Alfredo, ein italienischer Freund (ihn hatte ich in Weimar beim Internationalen Hochschulferienkurs kennengelernt), schmuggelte mir den im Westen erschienenen Erzählungsband in seinem VW-Käfer durch den Zoll. Viel später – unvergesslich – die Stimme der Bachmann vom Tonband im Marbacher Literaturarchiv: ‚Es kommen härtere Tage‘, ‚Erklär mir Liebe‘ …“ (Sigrid Damm: Wohin mit mir, 3. Auflage, Berlin 2012, S. 104.)

„Die Bücher- und Blättersammlung der Großmutter war keine erlesene Bibliothek. Die gebundenen Bücher hielt ein einziges Regal zusammen … Nobel behandelt im Haus wurden nur die Bibel, von Luther übersetzt, der Katechismus, das kirchliche Gesangbuch, vor allem aber die Kräuterbücher und Rezeptsammlungen aus alter Zeit … Diese Bücher waren ein Vermächtnis … Als Kind durfte man sie nur unter Aufsicht anfassen.“ (Elmar Faber: Verloren im Paradies. Ein Verlegerleben, Berlin 2014, S. 8.)

„… der Freund kam zurück, der mir das einstündige Atemholen zugestanden hatte. Vor Jahrzehnten war er mit Ulrich, mit Heidrun und mir im Friedberger Internat gewesen, jetzt begleitete er mich auf dem Gang durch das verwaiste Haus, Bücherhaufen, Bücherberge in allen Räumen, auch in der Küche, auch im Bad … fünf Kladden voller Tagebuchnotizen … die einen stammten von 1987, dem Jahr seiner Trennung, von einer Kontaktanzeige war die Rede, die lag sogar bei, säuberlich ausgeschnitten … kein Schulmeister, nicht vergreist, nicht emanzipiert, nicht cool, nannte er sich … Interesse an Literatur und Zeitgeschichte …“ (Guntram Vesper: Frohburg. Roman, Frankfurt/Main 2016, S. 25-27.)

„In der Bibliothek Casa di Goethe treffe ich später den jungen Hilfswissenschaftler, der mit der Katalogisierung von Büchern beschäftigt ist. Vor ein paar Jahren wurde hier eine Forschungsstelle geschaffen, um die verlorenen Bücher des deutschen Künstlervereins wieder zusammenzuführen. Von 1845 bis 1915 hatte die Vereinigung existiert und eine eigene Literatursammlung angelegt. 1915 … wurde der Verein geschlossen. Im Krieg fiel die Bibliothek auseinander …, aber jetzt stehen sie wieder dicht beinander, die alten Bücher, und erzählen sich nachts heimlich ihre Geschichten.“ (Simon Strauß: Römische Tage, Stuttgart 2019, S. 81-82.)

„Ob die Bücher in den drei schönsten Zimmern Norbert Paulinis wohnten oder ob er sich bei den Büchern niedergelassen hatte, blieb unentschieden. Die Bücher und der Antiquar lebten zusammen, am Tag und in der Nacht, und da vor den Fenstern zur Straße Ahornbäume standen und vom Hof aus eine große Kastanie das Haus beschirmte, verloren sich die Tages- und die Jahreszeiten in einem Halbdunkel, das jederzeit das Licht einer Leselampe rechtfertigte.“ (Ingo Schulze: Die rechtschaffenen Mörder, 2. Auflage, Frankfurt/Main 2020, S. 12.)